Sonntag, 20. Januar 2008

18. Paläontologische Rüpeleien

Wurstkübl zuckte zusammen. Hatte der seltsame Wicht sich nicht eben über seinen Vornamen lustig gemacht? Von den anderen kam aber keine Reaktion, welche die Beachtung der Anrede »Hoheit« vermuten ließ. Also war es möglich, daß er sich verhört hatte. Etwas Erleichterung machte sich in dem alten, knochigen Körper breit. Dank NUUNs kräftiger Beleuchtung schritt der merkwürdige Verein nun etwas unverdrossener voran, sodaß man um die Mittagszeit herum endlich wieder eine ebene Fläche erreichte und Rast einlegen konnte. Bei näherer Betrachtung der Wände stellte sich alsbald heraus, daß es sich hierbei um eine pleistozäne Kavität handeln mußte, denn die durch Knochenreste präsente Megafauna der Eiszeit legte diese Vermutung nahe. Siebenschrot hängte seinen Rucksack an einen aus der Wand ragenden Mammut-Stoßzahn, während Ruckdäschel einige versinterte Gebeine der äußerst seltenen Höhlenbärenart Ursus spelaeus asiensis zu einem Lagerfeuerhaufen zusammenklapotterte. Vermittels zweier aneinandergeschlagener Stalagmiten von außergewöhnlicher Schönheit war ein Feuer schnell entfacht, und man entkorkte aus Gemütlichkeit und Durstgefühl die letzte Flasche »Reinholdshagener Rote-Beete-Saft – feinste Sortierung«. Die drei eingefrosteten Quarkkeulchen wurden an die zweieinhalb mitgeführten Zeltstangen gespießt. Nach dem Auftauvorgang und vollführter Knusprigmachung teilte man sie brüderlich – ja, fast zwillingsbrüderlich – untereinander auf.

Freitag, 18. Januar 2008

17. Streulicht erfreut nicht

Der Alte tastelte sich voran. Sein Gesicht war durch die Uranflasche seltsam beschienen. Er hatte seine hölzerne Schneebrille in die Windel geklemmt und starrte mit weit aufgerissenen Augen in die vor ihnen liegende, schwarze Welt. Es wurde sehr bald offenbar, daß sich zur Linken ein irrsinnig tiefer Abgrund befand, denn hinunterpurzelnde Steinchen gaben kein Geräusch eines etwaigen Aufpralls von sich. Zur Rechten befand sich, um das Maß vollzumachen, eine steile Felswand. Man bewegte sich im Schildkrötentempo die schmale Kante entlang; wie eine riesige Leuchtraupe auf dem Weg zur letzten Ruhestätte. NUUN war leicht genervt ob der Langsamkeit des Fortkommens, die sich schon fast dem Minusbereich näherte. Kurz entschlossen setzte er sich mit seinem seltsamen Surfgestein an die Spitze des Zuges und knipste an der wurzelverhangenen Unterseite seiner Standfläche einen Scheinwerfer an! Die Truppe stöhnte in vier verschiedenen Tonarten auf. »Warum nicht gleich so, du komischer Beutel?!« Sardanapal stapfte wutig auf. Das kleine Wesen sprach schmunzelnd: »Energie sparen, Hoheit, Energie sparen.«

Montag, 14. Januar 2008

16. Helligkeit ohne Lampe

»Mein Herr Vater, dieser Teufelskerl!« entfuhr es dem alten Wurstkübl, sich mühselig hochwindend. »Hat einen Geheimausgang angelegt!« Das Loch gab ein lang nachwedelndes Echo von sich, was auf eine immense Kubikmetrigkeit schließen ließ. »Also, ich hab die Buchseiten nicht herausgerissen, so viel weiß ich noch! – Doch wenn wir dieses Rätsel lösen wollen, müssen wir da hinein. Das riecht geradezu nach Erkenntnissen!« Aber wie würde man ohne Fackeln das Dunkel erhellen? Zudem hatten die Packpferde Ludmilla und Bundesbahn bei ihrem überstürzten Aufbruch Ruckdäschels orientalische Taschenlampensammlung mitgenommen, und die Glühbirnen an den Wänden waren fest mit den alten Generatoren verdrahtet. Jedoch weil Mehlhorn sämtliche Abenteuerliteratur, die je ins Deutsche übertragen worden war, in sich aufgesaugt hatte wie ein trockener Schwamm das Tröpfchen, war ihm sofort klar, nach welcher Manier man sich Lampen basteln würde. Ein paar umherstehende Flaschen wurden geschwind mit ein paar umherliegenden Uranabfällen gefüllt, die scheinbar niemand vermißte. So ausgestattet, und mangels besseren Wissens über Radioaktivität und ihre haarsträubenden Folgen auch keinerlei Gefahr durch dieselbe ausgesetzt, stiegen unsere fünf Exkursioner frohen Mutes einer nach dem anderen in den muffigen Schrank hinein.

Sonntag, 13. Januar 2008

15. Papier war nicht geduldig

Er griff, nachdem er eine Weile mit verdrehtem Kopf die Jahreszahlen studiert hatte, zielgerichtet einen Band heraus. Auf ihm stand: 1746. Januar bis Juni. So stürmisch es seine alten, brüchigen Finger erlaubten, fuhrwerkte er sich vibrierend durch das Notizbuch. Vor und zurück, vor und zurück und noch mal. Schließlich stöhnte er hohl auf. »Diese Seiten fehlen! – Man hat sie herausgerissen!« Von Verzweiflung gebeugt, kauerte sich der Alte in den Schrank. Zum Glück sah er nicht die blöden Gesichter seiner Reisegefährten. NUUN wurde ungeduldig. »Such noch mal! Wie kannst Du so genau wissen, in welchem Buch das steht?! Schließlich bist Du schon 198! Losloslos!« Mit diesen Worten raste er auf Wurstkübl zu und wollte ihn bei den Schultern packen. Aber irgendwie hatte er seinen Schub unterschätzt – jedenfalls krachten beide extrem gegen die Schrankrückwand. Die klappte – wen wundert das eigentlich hier noch – wie eine Zugbrücke nach hinten herunter und alle Notizbüchlein rasselten auf die beiden Unglücklichen herab. Und zwar unter abrißhausartiger Staubentwicklung. Nachdem sich die Wolke verzogen hatte, starrten alle in eine schwarze Öffnung, aus der es wieder mal pilzig-kühl herausdünstelte.