Samstag, 14. Juli 2012

23. Das Buch am Boden



Eine der Öffnungen am Boden war nicht sehr tief, nur ca. 60 cm. Auf ihrem Boden entdeckte man ein Buch! Konnte das ein Hinweis sein, eine Fährte? Schließlich war Mehlhorn als Leseratte bekannt, doch kannte niemand den kompletten Index seiner mitgeführten Reisebibliothek. Das Buch zierte der in Zentenar-Fraktur sorgsam gesetzte Titel »Im Rhönrad auf den Kilimandscharo – Die gar seltsame Reise des Zauberkünstlers Reomir Zartutan und ihr plötzliches Ende. Von ihm selbst unterwegens mit Zaubertinte aufgeschrieben.« Das Buch hatte nur ein Kapitel, das zudem mittendrin abrupt abbrach. Die danach folgenden 63 Seiten zeigten sich leer. Dem Nachwort war zu entnehmen, daß selbst intensivste Nachforschungen keinen Verweis auf den Verbleib des wagemutigen Autors brachten: »… doch ein unheilvoller Verdacht drängte sich auf, als es sich herauskristallisierte, daß der Negerstamm der Tutikaputi, der am Fuße des riesigen Felsmassivs hauste, gebogene Metallfragmente zum Kral-Bau gebrauchte. Niemand erfuhr je, woher diese Leute, die noch mit knöchernen Waffen jagten, das aufwendig legierte Metall bezogen hatten. Dr. Traugott Spächt, Düsenburg, den 27. September 1899« Mit diesen Worten schloß das Werk. Es hatte geschmackvoll arrangierte braune Stockflecken auf allen Seiten.

Mittwoch, 10. September 2008

22. Pfadsucher – Pfadfinder


Es hatte keinen Sinn, die Suche auf den nächsten Morgen zu verschieben, denn an den hiesigen Lichtverhältnissen würde sich voraussichtlich nichts großartig ändern. Die vier Uran-Leuchtflaschen ließ man zurück, sie hatten ihren Dienst schlecht verrichtet und waren hier als eine Art Leuchtboje für einen etwaigen Rückzug gerade richtig. Also klaubten sie nur ihre Habseligkeiten zusammen, schnappten sich Knochenfackeln und stiefelten los. Zurück konnte Mehlhorn kaum gegangen sein – den schmalen Grat hatte er nur mit klappernden Zähnen und Schweißausbrüchen bewältigt. Freiwillig hätte er also nie diesen Weg eingeschlagen, so blieb nur die andere Richtung. Bald erreichte die kleine Mannschaft den runden Raum. Ratlos glitten die Blicke über die unzähligen Öffnungen. »Wir müssen nach Spuren suchen!« bahnte sich ein Geistesblitz den Weg aus Wurstkübls Sprechöffnung. »NUUN, leuchte mal – zuerst hier am Boden!« Im feinen Staub zeichneten sich tatsächlich Fußspuren ab. Doch in welcher Vielfalt! Manche stammten von nackten Füßen in Größe 54, andere offenbar von Höhlentigern oder neunköpfigen Drachen, darin war man noch uneins. Nur mühsam konnte man hie und da Mehlhorns Turnschuhe der Marke »Space Captain Meier« herausfiltern.

Montag, 8. September 2008

21. Wehlhong? Mehlhorn!


Als erstem wurde Ruckdäschel bewußt, daß Mehlhorn verschwunden war. Er wollte ihn nämlich soeben darum bitten, ihm einen Span der Alu-Zeltstange zwischen den Zähnen hervorzupolken, der sich im Zuge des gierigen Herunterschlingens der gerösteten Quarkkeulchenfragmente dorthin zurückgezogen hatte. Nun stapfte er, den Finger im Mund und einen langen Speichelfaden am Kinn, um das Lager herum und fragte fortwährend ins Entfernte hinein: »Wehlhong? – Wehlhong? – Wehlhong? – Wehlhong? …« Schließlich stutzte er: »Wehlhorn? Meeehlhooorn! – Autsch!« Er hatte sich soeben beim Rufen selbst von innen die Wange aufgeschnitten, denn der Span ragte distal zwischen seinen Backenzähnen hervor. Das Blut troff am Speichelfaden entlang auf den Höhlenboden, der diese belebende Flüssigkeit gierig aufsog und sich nur sehr verhangen um Jahrtausende zurückerinnerte, als hier ähnliche Fluide zur allgemeinen Bodenbeschaffenheit zählten. Jetzt wurden auch die anderen aufmerksam. Man sah unter jeden Stein, rief, betete und weinte – aber vergeblich: Mehlhorn blieb verschwunden.

Mittwoch, 27. August 2008

20. Heimwehgedanken, Gedankengänge und Gänge


Nun saß Mehlhorn da und zog ein Gesicht wie 5. Weltkrieg auf Nitrobasis. War seine Entscheidung, das »traute Heim« zu verlassen, richtig gewesen? Könnte er nicht in diesem Moment mit frischer Unterwäsche im Speisesaal sitzen und Joghurt löffeln? Freilich, rechts neben ihm würde der dicke Ewald Thompsen hocken und sich mit seiner Sandmännchen-Zahnbürste den Lactobacillus bulgaricus gleichmäßig im Gesicht verteilen. Links von ihm säße apathisch der Grüne Klaus und würde urplötzlich nach vorn in das Kompottschüsselchen kippen, nur um für 3 Sekunden zu erwachen und darauf wieder in Regungslosigkeit zu verfallen. Ihm gegenüber befände sich der Knochenkasper, ein schrecklich dürrer Kerl, der immerfort hin und her schaukelte und dabei starr geradeaus grinste. Hinter ihm würde Schwester Trautgard entlangdragonern und nach billiger Seife riechen. Doch waren ihm diese Vorgänge vertraut. Hier hingegen, in dieser steingewordenen Ungewißheit mit aufgebrauchten Lebensmitteln zu sitzen, umgeben von Wesen, die scheinbar klüger waren als er … Mehlhorn griff sich einen glimmenden Knochen und erhob sich aus dem Schneidersitz wie ein Wurm, der sich erfolglos aufzuknoten versucht. Als er endlich stand, beschloß er, ein wenig das Terrain zu erkunden, indem er sich schlurfend an einer Wand vorwärtsbewegte. Er hatte schon viel über Labyrinthe gelesen und wußte, daß man nie die Seite eines Ganges wechseln durfte, wenn man es nicht gerade darauf anlegte, sich zu verlaufen. Plötzlich stand er in einem runden Raum. Und wenn ich rund sage, meine ich auch rund. Er sah aus wie ein gepunkteter Ball von innen. Nur, daß statt der Punkte nach allen möglichen Seiten -zig Gänge abzweigten. Grübelnd stand er lange Zeit zwischen den Löchern.

Sonntag, 24. August 2008

19. Besinnliches dank Duftgas oder . . . . . Die Stimme der Stammväter


Die verkokelten sterblichen Überreste der Höhlenbären verbreiteten einen angenehmen Duft in der miefigen Grotte, der teilweise an »Neugrüne Tara-Räucherstäbchen« erinnerte, welche Frau Tömpke stets bei aufkommenden Depressionen und Unterleibsbeschwerden zu entzünden pflegte. Mehlhorn dachte zurück ans Heim, wo jetzt alle Verbliebenen bestimmt beieinander saßen und wacholderjoghurtlöffelnd der drei Entkommenen gedachten. Als Ruckdäschel und Siebenschrot damals heimlich durchs Dachfenster abhauen wollten, hatte er sich ihnen mutig in den Weg gestellt. Er war gerade dabeigewesen, auf dem Dachboden einige Kartons nach dem MOSAIK-Heft* zu durchsuchen, das ihm bei seiner Einweisung abgenommen und nach oben verfrachtet worden war. Er war in diesem Heft (Nummero 1) erst auf der Seite 18 angelangt und wollte jetzt unbedingt wissen, wie den drei Digedags die Flucht aus dem Sultanspalast gelang und ob sie tatsächlich nicht durch den Harem rennen würden. Während Mehlhorn so den Weg verstellte, bekam er jedoch plötzlich Lust, es den drei Comic-Kobolden aus seinem bunten Heftchen gleichzutun und schlug vor, mitzukommen. Ja, er drohte sogar, im Falle der Nichteinwilligung sofort seinen berüchtigten Sirenenschrei loszulassen, der seinen Vorfahren, die wohl einst Nacht- oder Turmwächter gewesen waren, schon den Namen Mehlhorn eingebracht hatte. Denn jedesmal, wenn sie ins Horn stießen, war dieses zu feinem Mehl zerfallen — so destruktiv wirkte die Stimme seiner Stammväter schon. Körperlichen Schaden fürchtend, hatten Siebenschrot und Ruckdäschel eingewilligt und den strammen Burschen mit auf die Reise genommen.

* Das Heft, das sich in Mehlhorns Besitz befindet, ist ein in Sammlerkreisen außerordentlich begehrtes Stück. Handelt es sich hierbei doch um das einzige verbliebene Exemplar der 1. Auflage von 1948! Damals war der Lieferwagen, mit den frischen Heften aus der Druckerei kommend, dummerweise an einer Tankstelle explodiert, weil der russische Unteroffizier, der das Fahrzeug lenkte, unbedingt Machorka rauchen mußte. Das einzig erhaltene Heft war jenes, welches einer der Drucker heimlich nach Dienstschluß mitnahm — dies war Mehlhorns Cousin! Unser Freund erhielt das feine Exemplar zum Geburtstag und wartete verzweifelt auf die Ausgabe Nr. 2, denn er hatte seine Digedags so recht ins Herz geschlossen. Doch muß er sich aufgrund der angespannten Lage auf dem Papiermarkt sehr gedulden, denn erst Weihnachten 1955 kann das erste MOSAIK-Heft nachgedruckt und die Reihe fortgesetzt werden — und wir schreiben jetzt erst das Jahr 1949 …! Näheres dazu entnehme der interessierte Laie bitte der Broschüre »Das Mysterium um Heft 1« von Prof. Thorwald Kremser, Geierschnabel Verlag 2008.

Sonntag, 20. Januar 2008

18. Paläontologische Rüpeleien

Wurstkübl zuckte zusammen. Hatte der seltsame Wicht sich nicht eben über seinen Vornamen lustig gemacht? Von den anderen kam aber keine Reaktion, welche die Beachtung der Anrede »Hoheit« vermuten ließ. Also war es möglich, daß er sich verhört hatte. Etwas Erleichterung machte sich in dem alten, knochigen Körper breit. Dank NUUNs kräftiger Beleuchtung schritt der merkwürdige Verein nun etwas unverdrossener voran, sodaß man um die Mittagszeit herum endlich wieder eine ebene Fläche erreichte und Rast einlegen konnte. Bei näherer Betrachtung der Wände stellte sich alsbald heraus, daß es sich hierbei um eine pleistozäne Kavität handeln mußte, denn die durch Knochenreste präsente Megafauna der Eiszeit legte diese Vermutung nahe. Siebenschrot hängte seinen Rucksack an einen aus der Wand ragenden Mammut-Stoßzahn, während Ruckdäschel einige versinterte Gebeine der äußerst seltenen Höhlenbärenart Ursus spelaeus asiensis zu einem Lagerfeuerhaufen zusammenklapotterte. Vermittels zweier aneinandergeschlagener Stalagmiten von außergewöhnlicher Schönheit war ein Feuer schnell entfacht, und man entkorkte aus Gemütlichkeit und Durstgefühl die letzte Flasche »Reinholdshagener Rote-Beete-Saft – feinste Sortierung«. Die drei eingefrosteten Quarkkeulchen wurden an die zweieinhalb mitgeführten Zeltstangen gespießt. Nach dem Auftauvorgang und vollführter Knusprigmachung teilte man sie brüderlich – ja, fast zwillingsbrüderlich – untereinander auf.

Freitag, 18. Januar 2008

17. Streulicht erfreut nicht

Der Alte tastelte sich voran. Sein Gesicht war durch die Uranflasche seltsam beschienen. Er hatte seine hölzerne Schneebrille in die Windel geklemmt und starrte mit weit aufgerissenen Augen in die vor ihnen liegende, schwarze Welt. Es wurde sehr bald offenbar, daß sich zur Linken ein irrsinnig tiefer Abgrund befand, denn hinunterpurzelnde Steinchen gaben kein Geräusch eines etwaigen Aufpralls von sich. Zur Rechten befand sich, um das Maß vollzumachen, eine steile Felswand. Man bewegte sich im Schildkrötentempo die schmale Kante entlang; wie eine riesige Leuchtraupe auf dem Weg zur letzten Ruhestätte. NUUN war leicht genervt ob der Langsamkeit des Fortkommens, die sich schon fast dem Minusbereich näherte. Kurz entschlossen setzte er sich mit seinem seltsamen Surfgestein an die Spitze des Zuges und knipste an der wurzelverhangenen Unterseite seiner Standfläche einen Scheinwerfer an! Die Truppe stöhnte in vier verschiedenen Tonarten auf. »Warum nicht gleich so, du komischer Beutel?!« Sardanapal stapfte wutig auf. Das kleine Wesen sprach schmunzelnd: »Energie sparen, Hoheit, Energie sparen.«

Montag, 14. Januar 2008

16. Helligkeit ohne Lampe

»Mein Herr Vater, dieser Teufelskerl!« entfuhr es dem alten Wurstkübl, sich mühselig hochwindend. »Hat einen Geheimausgang angelegt!« Das Loch gab ein lang nachwedelndes Echo von sich, was auf eine immense Kubikmetrigkeit schließen ließ. »Also, ich hab die Buchseiten nicht herausgerissen, so viel weiß ich noch! – Doch wenn wir dieses Rätsel lösen wollen, müssen wir da hinein. Das riecht geradezu nach Erkenntnissen!« Aber wie würde man ohne Fackeln das Dunkel erhellen? Zudem hatten die Packpferde Ludmilla und Bundesbahn bei ihrem überstürzten Aufbruch Ruckdäschels orientalische Taschenlampensammlung mitgenommen, und die Glühbirnen an den Wänden waren fest mit den alten Generatoren verdrahtet. Jedoch weil Mehlhorn sämtliche Abenteuerliteratur, die je ins Deutsche übertragen worden war, in sich aufgesaugt hatte wie ein trockener Schwamm das Tröpfchen, war ihm sofort klar, nach welcher Manier man sich Lampen basteln würde. Ein paar umherstehende Flaschen wurden geschwind mit ein paar umherliegenden Uranabfällen gefüllt, die scheinbar niemand vermißte. So ausgestattet, und mangels besseren Wissens über Radioaktivität und ihre haarsträubenden Folgen auch keinerlei Gefahr durch dieselbe ausgesetzt, stiegen unsere fünf Exkursioner frohen Mutes einer nach dem anderen in den muffigen Schrank hinein.

Sonntag, 13. Januar 2008

15. Papier war nicht geduldig

Er griff, nachdem er eine Weile mit verdrehtem Kopf die Jahreszahlen studiert hatte, zielgerichtet einen Band heraus. Auf ihm stand: 1746. Januar bis Juni. So stürmisch es seine alten, brüchigen Finger erlaubten, fuhrwerkte er sich vibrierend durch das Notizbuch. Vor und zurück, vor und zurück und noch mal. Schließlich stöhnte er hohl auf. »Diese Seiten fehlen! – Man hat sie herausgerissen!« Von Verzweiflung gebeugt, kauerte sich der Alte in den Schrank. Zum Glück sah er nicht die blöden Gesichter seiner Reisegefährten. NUUN wurde ungeduldig. »Such noch mal! Wie kannst Du so genau wissen, in welchem Buch das steht?! Schließlich bist Du schon 198! Losloslos!« Mit diesen Worten raste er auf Wurstkübl zu und wollte ihn bei den Schultern packen. Aber irgendwie hatte er seinen Schub unterschätzt – jedenfalls krachten beide extrem gegen die Schrankrückwand. Die klappte – wen wundert das eigentlich hier noch – wie eine Zugbrücke nach hinten herunter und alle Notizbüchlein rasselten auf die beiden Unglücklichen herab. Und zwar unter abrißhausartiger Staubentwicklung. Nachdem sich die Wolke verzogen hatte, starrten alle in eine schwarze Öffnung, aus der es wieder mal pilzig-kühl herausdünstelte.

Donnerstag, 30. März 2006

14. Der seltsame Steintisch

Nachdem der Alte den Lichtschalter gefunden hatte – es dauerte ein wenig, man wird ja nicht jünger – erfüllte die einer Krypta nicht unähnliche Grotte das Heulen von wahnsinnig alten Generatoren. Kurz darauf flackerten überall an den Wänden dutzende Lämpchen auf und schufen eine fast heilige, gelb-orange Stimmung. Die Generatoren kamen nun vollends in Schwung und wurden leiser. Man konnte jetzt in der Mitte des Raumes einen Steintisch erkennen, der gut und gerne in seinem früheren Leben ein Sarkophag hätte gewesen sein können. Feine altertümliche Muster überzogen ihn, und hätte man nicht so viel Krimskrams und alte Bücher darauf geschmissen, wäre unseren Freunden schon jetzt einiges klar geworden. Hinter ihm erhob sich eine mächtige Steinsäule, deren Kapitell oben in einer unglaublichen Formenpracht endete. Der alte Wurstkübl hastete zum Tisch, kramte einen rostigen Schlüssel aus dem Schreibtisch-Wust hervor und tatterte damit auf einen in der Ecke stehenden, aus Brettern zusammengezimmerten – jedoch geschmackvollen – Schrank zu. Er wurde knarzend aufgeschwenkt und gab den Blick auf hunderte von Oktav-Heftchen frei, jedes säuberlich in Rattenleder gebunden und mit Jahreszahlen tätowiert. Alle waren gespannt, was der Alte nun tun würde – auch er selbst, Sardanapal Wurstkübl.

Mittwoch, 29. März 2006

13. Erst Aufbruch, dann Aufmachen

Man kramte die Reste des Lagers zusammen (Rote-Beete-Saft, Quarkkeulchen und zweieinhalb angerußte Zeltstangen) und machte sich auf den von Sardanapal Wurstkübl gewiesenen Weg. Vorneweg der Alte, hinterdrein Ruckdäschel, Siebenschrot und der einigermaßen wieder im Diesseits befindliche Mehlhorn. Seitlich obendrüber schwebte NUUN auf seinen Steinplatten, hoffnungs- und geheimnisvoll grinsend wie ein dicker Buddha. Die Nacht war ja nun herum und bei den plötzlich hereinbrechenden Höchsttemperaturen von 36 Grad Celsius konnte sowieso keiner schlafen, zumal das praktische Sauerstoffzelt ja hinüber war. Der kleine Trupp stolperte bergab und kam nach wenigen Stunden an einer Stelle am Felsen an, über die auffallend dicke Flechten wucherten. Davor standen zwei merkwürdige mannshohe Gebilde, die aussahen wie aus Stein gedrechselt, unten dick und oben stabförmig endend. Wurstkübl kniete zwischen ihnen nieder, baggerte mit seinen Knochenhänden ein Loch in den staubigen Boden und legte bald einen verrosteten Haken frei. Er zog daran und mit einem schauerlichen Quietschen klappte der Wildwuchs zur Seite. Es offenbarte sich zum allgemeinen Überraschtsein ein geräumiger Höhleneingang. Muffiger Dunst von angenehmer Kühle schlug den 5 Protagonisten entgegen. Über der Höhle stand in krummen früh-strumarhabattischen Lettern liederlich hingemeißelt: Phlagrung halmagrung (Besser erstunken als erfroren).

Dienstag, 28. März 2006

12. Die Erscheinung macht sich zu Material

Langsam, ganz langsam, begann sich vor des sitzenden Mehlhorns Kopf ein zartes Wölkchen zu bilden, das stetig an Form gewann. Seine nunmehr drei Reisekameraden konnten gar nicht entsetzt genug blicken. Selbst Siebenschrot, den jegliches Ereignis kalt ließ, machte Augen rund wie Bauchnäbel. Begleitet von klerikal anmutendem Telefonnummern- gestammel, entstand in der kleinen, silbrigen Wolke eine Figur – NUUN! NUUN, nun für alle sichtbar, stellte sich ein zweites Mal vor und brachte wieder sein Anliegen heraus: »Kennt jemand von Euch schrägen Gestalten SCHROTTBOY? Nie gehört, den Namen?« Als erster erlangte der alte Wurstkübl wieder die Sprache. Unwissend, ob er die Wahrheit redete oder nicht, aber mit der festen Absicht, die seltsame Erscheinung bei Laune zu halten, damit sie nicht gleich wieder entschwand, röchelte er: »Mein Vater selig hatte ein Notizbuch – ich glaube, darin ähnliches gelesen zu haben!« NUUN begann zu zappeln. »Na dann mal her damit, es soll Euer Schade nicht sein!« frohlockte das seltsame Männlein.

Montag, 27. März 2006

11. Ludmilla flieht mit Bundesbahn

»23 Quarkkeulchen durch 4 – das geht nicht gut«, salbaderte Ruckdäschel vor sich hin. Plötzlich drang aus dem Zeltinneren, in welchem Mehlhorn noch immer sitzend verharrte, ein sich rapide steigerndes brummendes Summen in Moll, begleitet von einer stetig an Intensität zunehmenden Helligkeit! Für den Wallach Bundesbahn und die Zelterstute Ludmilla war der Gipfel des Erträglichen erreicht. Als die Explosion verklungen war und nun in fernen Gebirgsmassiven als sich tausendfach brechendes und verstreuendes Echo immer leiser werdend entschwand, waren von den Pferden nur noch eine Flasche »Reinholdshagener Rote-Beete-Saft – feinste Sortierung« und ein Ledersäcklein mit 3 eingefrosteten Quarkkeulchen (aus Frau Tömpkes Tiefkühlfach) zurückgelassen worden. Ihr Wiehern (das der Pferde) verlor sich langsam in den Niederungen. Rauch stieg von der Stelle auf, an der einst das Zelt prangte. Durch die Luft segelten schwarze Fetzchen, die einst in farbenfroherem Zustande und deutlich integerer Struktur das Sauerstoffzelt, den ganzen Stolz unserer Freunde, bildete. Mehlhorn saß noch regungslos an derselben Stelle, seine Vorderseite war schwarz wie die Flagge des Sultans Ali von Aghrahabad, hinten war alles normal.

10. Die Erzählung des tapferen Einsiedels

»Nein, mal im Ernst«, fuhr Wurstkübl fort, »ich lebe hier in Strumarhabatt in der Region Saphtra in diesem herrlich trostlosen Gebirge Nithababraud schon von Kindesbeinen an. Mein Vater, der berühmte Archaeo…pterix! …« Er weidete sich an Ruckdäschels ratlosem Gesicht – solcherlei Scherze behagten ihm. »Hähähä – hähähä! Ich meine natürlich: Mein Vater, der berühmte Archäo–loge Wenzeslaus Wurstkübl hat mich als Kind hier ausgesetzt. Um mich zu retten! Wir wurden von wilden Eingeborenen verfolgt, weil er deren Gott Behumsemithkarma – eine 27 cm hohe Holzstatuette – zwecks wissenschaftlicher Abformung mit Elektrikergips eingeschmiert und somit unbrauchbar gemacht hatte. Er versteckte mich, der ich noch ein Knabe von 9 Jahren war, auf der Flucht in einem Astloch und schlug alsdann einen Haken, damit man wenigstens mich nicht fand und so wie ihn im Anschluß mit regionalen Kräutern zubereitete.« Eine Träne brach sich Bahn zwischen Augapfelgriebsch und Knitterlid des tüchtigen alten Mannes. »So wuchs ich hier in der Gegend auf. Der Yogi Prassedawogibtwa, der zufällig des Weges kam, um hier Enthaltsamkeit zu üben, nahm mich in die Lehre und so wurde ich, was ich heute bin: ein alter, vertrockneter Typ, der in rund 200 Jahren nullkommanichts erlebt hat, verdammichnochmal!« Wurstkübl sprang, was man ihm bis hierher gar nicht zugetraut hatte, wie eine rostige Sofa-Sprungfeder auf, daß seine Knochen nur so krontschten. Itzo völlig in Ekstase geraten, krächzte er lauthals: »Auf in die weite Welt! Ich ziehe mit euch, Jungens!«

Donnerstag, 23. März 2006

09. Die Heilanstalt mit dem Dachschaden

»Woher kommen Sie denn …?« Ruckdäschel starrte Sardanapal Wurstkübl entsetzt an. Der lebte sichtlich auf: »Von da hinten!« grinste er und wies steif wie ein Turmdrehkran gen Felswand. ›Noch so einer‹, dachte Ruckdäschel und begann, im Geiste die Quarkkeulchen- und Rote-Beete-Saft-Vorräte durchzugehen. Schlimm genug, daß Mehlhorn noch mitgekommen war, aber er hätte sie sonst verpfiffen. Seine Gedanken schwoffen zurück – nach Radebeul – in die Heilanstalt »Waldeslust«. Er hatte immer »Waldesluft« gelesen, da er der Frakturschrift nicht mächtig war. »Waldesluft mit Joghurt«. »… mit Joghurt« hatte er sich selbst ausgedacht und hinter die großen Holzbuchstaben der Hauswandbeschriftung gemalt. Selbstverständich mit Joghurt! Jeden Tag gab es dort früh, mittags und abends Joghurt, und eines Tages war ein Insasse namens Schmeierlein komplett ausgerastet. Er warf alle Joghurtbecher (Geschmacksrichtung Wacholder) aus dem Fenster des Speisesaals im dritten Stock; einige trafen Frau Tömpke, die Reinemachfrau, andere Herrn von Tasselrock, den Wildbesteller und viele einfach nur die Wiese. Da wegen Dachschadens eine große Leiter am Haus lehnte, war Ruckdäschel mit einigen Bechern nach oben gekrabbelt und hatte die seiner Meinung nach notwendige Ergänzung gemacht. Wie viele andere war auch er an diesem Abend reif für die Badewanne.

Mittwoch, 22. März 2006

08. Verbotene Spiele

Ruckdäschel zuckte zusammen, als das erste Quarkkeulchen in Sardanapal Wurstkübls alten vertrockneten Magen-Darm-Trakt hineinpolterte. Die Pferde scheuten und katapultierten mit ihren Hufen Steinchen nach hinten ins Feuer. Unser Hornbrillenfreund hatte noch immer geduldig im Zelt gekniet und gespannt gewartet, ob Mehlhorn bald aufhören würde, Löcher in die eh schon dünne Zeltluft zu starren. Das Poltergeräusch hatte ihn aus der Erwartungsspannung gerissen. »Na, dann bring ich dir eben welche«, flüsterte er fürsorglich nach 18 Minuten und polkte den Zeltreißverschluß umständlich auf, indem er sich nach hinten – zwischen den Beinen hindurch – am Zipper zu schaffen machte. Als er endlich ans Feuer stakte, war von den Quarkkeulchen nichts mehr zu sehen. Dafür saß da dieser halbnackte fremde Typ und nahm Siebenschrots rückläufige Telefonauskunft in Anspruch, was eigentlich nicht erlaubt war. »0551-19240?« – »Giftnotruf Braunschweig.« Wurstkübl amüsierte sich wie schon seit 72 Jahren nicht mehr, als er damals zufällig beim Pipimachen zwei in Löffelchenposition erstarrte Mumien in einer Höhle entdeckt hatte.

07. Guten Appetit!

Die beiden Packpferde Ludmilla und Bundesbahn wurden langsam unruhig. Zuerst diese Erscheinung im Zelt, die außer Mehlhorn nur sie wahrnehmen konnten – und nun dieser Eremitentyp. Herr Wurstkübl kauerte sich neben das bläuliche Flämmchen, das soeben den Quarkkeulchen den Garaus machte. Er hatte von Siebenschrot zur Antwort nur »Balthasars Wurststübl - 89077 Ulm, Propst-Böckler-Str. 20, Telefon 0731 38 39 31« bekommen und kurzfristig entschieden, dies als herzliche Einladung auszulegen. Er griff beherzt in die Aluminiumassiette mit den schwarzen qualmenden Dingern und gewann so seiner Askese völlig neue Aspekte ab. Auf die nächsten 100, wackerer Klausner!

Montag, 20. März 2006

06. Sardanapal Wurstkübl

Da löste sich hinter Siebenschrot ein Schatten aus der Felswand. Der dazugehörige Mann war für die herrschenden Witterungs- bedingungen äußerst unkomforta- bel gewandet. Er trug nämlich nur eine Art schmutzige Windel um die Hüftgegend und eine aus Holz geschnitzte Schneebrille. Sein Körper war von Mangel gezeichnet, seine grauen Haare fielen bis auf die Schultern hinab und huben an, sich daselbst speckig zu kringeln. Den langen Bart hatte er zu einem Zopf geflochten und vorn durch die Windel gezogen, wodurch unten ein Stück vulgär herausbaumelte. Er war 198 Jahre alt und hatte nie etwas anderes als Schnee gegessen. Für diesen Umstand sah er aber noch recht brauchbar aus. Seine Stimmbänder klangen morsch, wie eine Tür, die man über hunderte von Jahren nicht geöffnet hat. »Gestatten – – – mein – Name ist – S-a-r-d-a-n-a-p-a-l --- W-u-r-s-t-k-ü-b-l. Kann *höff-öff* ich etwas – abhaben?«

Sonntag, 19. März 2006

05. Das wandelnde Fernsprechbuch

Der Rastplatz, den unsere drei Titelhelden als solchen erkoren hatten, lag auf einer geräumigen Fläche zwischen einem steinernen und einem grasbewachsenen Hügel. Es war später Nachmittag und die Landschaft begann Farben anzunehmen, die bei Sonnenlicht undenkbar gewesen wären. Das Thermometer zeigte zwei Grad minus und von Ostnordost pfiff ein altersweiser Wind seine kummervollen, wie auf Knochenflöten geblasenen Melodeien. Siebenschrot, als letzter draußengeblieben, war ein vierschrötiger Kerl mit einem Kindergesicht. Furcht kannte er nicht, aber sämtliche Telefonnummern Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. Sein Gedächtnis war photographisch, jedoch soziale Kontakte waren ihm fremd. Man hatte ihn statt eines Telefonbuches aus dem Heim mitgenommen. Er stocherte mit einem Plasteschäuflein zwischen den Quarkkeulchen herum, damit sie über dem Feuer der Spiritustablette wenigstens schön gleichmäßig verkohlten.

Samstag, 18. März 2006

04. Wahn Nummer 2 weg

Wäre Mehlhorn nicht bereits weggetreten gewesen, dann jetzt. Trotzdem schrie er: »Nein – nicht in das heiße Wasser!« Offenbar hielt er sich nun für einen Brühwürfel. Das Wesen versuchte ihn zu beruhigen. »Ich komme in Frieden – ich komme in Frieden ...« Diese Formel ständig abzuspulen und einen hypnotischen Blick auf Mehlhorn zu richten genügten, um ihn aus der zweiten Ebene seiner Wahnvorstellung zu holen. NUUN sprach weiter: »Ich bin auf der Suche nach Schrottboy. Schon mal gehört, den Namen?« Doch Mehlhorn zuckte nur verständnislos mit der Warze, die an seinem rechten Augenlid befestigt war. In diesem Augenblick hörte er wie durch eine Nebelwand das Wriiiuuuuuaahr des Zeltreißverschlusses. Ruckdäschel, ein dürrer Kerl mit Reithose und Hornbrille, bugsierte seinen Kadaver ins Zeltinnere und raunte ihm etwas ins Ohr. »Die Quarkkeulchen sind fertig!« Mehlhorn hörte zwar, aber verstand nicht.

Freitag, 17. März 2006

03. Auftritt eines Wesens

Nach Konsum der Droge erging es einem wie Mehlhorn. Man wurde in eine Art Kontinuum geschleudert und fand nicht mehr heraus. Da war guter Rat Bückware! Er hörte ein Sausen an seinem linken Ohr und ein paar handtellergroße Bruchteile von Nanosekunden später erschien in seinem Blickfeld ein weißes Männchen, das auf vier zusammengehörigen Gehwegplatten stand, aus denen unten Wurzelwirrwarr krysselte. Es schwebte in der Luft vor seiner Nase, einfach so, unter völliger Mißachtung der Mehlhorn bis dato bekannten physikalischen Gesetze. Sein Kopf war zylinderförmig, seine Haare quastig, seine Augen schräg und schlitzig, sein Körper milchtütig und Hände und Füße extrem klein. Seine Brust zierten drei gleichaussehende Orden oder dergleichen, sie schillerten quallig. Es roch nach Weihrauch, Muskat und Petersilie und sprach seinen Namen: »NUUN.«

Donnerstag, 16. März 2006

02. Die Chemie und der Baukasten

Ja, die Impräg- nierung war von keinen schlechten Eltern gewesen, sondern von guten Chemikern. Diese braven Burschen verstanden ihr Handwerk. Einer von ihnen, ein Inuit-Slowake namens Amir Yezd-Pour, hatte kürzlich in einer halben Überstunde eine neue Wunderdroge kreiert. Als sein Chef zur Tür hereinkam, wollte er sie schnell verstecken und rührte sie einfach in dem Kübel mit der Zeltimprägnierung unter. Anschließend ging er nach Hause und riß vor Wut das Stecksteinchenhaus ein, das seine dressierte Smaragdschildkröte Eulalia für ihn als Überraschung gebaut hatte. Denn ohne Überraschung gab's kein Abendbrot, soviel hatte sie bereits gelernt.

Mittwoch, 15. März 2006

01. Wie sie sich ernährten und was daraufhin geschah

Im Reisegepäck obenauf lag bei Mehlhorn eine Ausgabe von Nansens Reisebericht: unzweifelhaft ein großes Vorbild für die Vorgehensweise in Kondraut. Das Sauerstoffzelt war aufgrund seiner Beschaffenheit aus saurem Stoff ausgewählt worden - eine Leckerei, die Mehlhorn auch in fernsten Gefilden nicht missen wollte. Als er sich wie jeden Nachmittag um 14.40 Uhr vorsichtig mit der Zungenspitze der Zeltinnenwand näherte, zuckte er plötzlich zusammen – was war denn das für ein Geschmack? Er sah perlmutterne Kreise, die sich in sich drehend nach unten verknoteten und verlor noch im Liegen das Gleichgewicht. Als er wieder zu sich kam, war er bewußtlos.

Dienstag, 14. März 2006

Das feine Buch-Cover


Im Sauerstoffzelt
nach Vindula-Nippur


Die Reise der drei geistesgestörten
Pfadfinder Mehlhorn, Ruckdäschel
und Siebenschrot
ins Land Kondraut*,
gelegen zwischen Strumarhabatt
und Urma-Ladhurma


Erlebnisbericht von sonderbaren
Vorfällen, Ereignissen und Begebenheiten
sowie Tatsachen und Abenteuern.



* ahd. für Brimpur

Heigh-ho everybody, heigh-ho!

Cross-eyed King Of The Robots
Ja, da bin ich! Guckste, wa?